(noch nicht fertig)
Vor einigen Wochen haben wir im Philosophieunterricht bei Herr Achermann „Über Wahrheit und Lüge aussermoralischen Sinne“ von Nietzsche gelesen und besprochen. Ich werde nun Nietzsches Text, das im Unterricht Besprochene und meine eigenen Gedanken dazu erläutern. Anschliessend überlege ich mir, welche Konsequenzen Nietzsches Sichtweise auf die Wissenschaft haben könnte und beziehe den Text auf aktuelle Probleme wie FakeNews und KI.
Nietzsche fängt damit an, darüber zu schreiben, wie insignifikant und trotzdem überraschend eingebildet wir Menschen sind. Er stellt die These auf, dass die Wertschätzung an der Welt, die es zum Beobachten benötigt und den Hochmut, die wir beim Erkennen fühlen, in unsere Erkentnisse einfliessen und wir deshalb die Realität nicht richtig erfassen können. Weiter schreibt Nietzsche, dass Menschen von Grund auf Lebewesen sind, die lügen, täuschen, sich verstellen, fantasieren und träumen. Es sei folglich wunderlich, dass bei uns ein Streben zur Wahrheit enstehen konnte. Dieses Streben erklärt er sich mit dem Bedürfniss, gesellschaftlich existieren zu wollen und als Konsequenz Auseinandersetzungen schlichten zu können. Menschen schätzen die Wahrheit nicht für die Wahrheit als solches, sondern für ihre angenehmen nützlichen Folgen. Wir sind Wahrheiten, die Schaden anrichten können, sogar feindlich gestellt. Dasselbe gilt mit Lügen: Wir verurteilen Unwahrheiten nicht per se, sondern ihre schädlichen Folgen.
Diesen Gedanken finde ich sehr interessant. Spielen wir uns gewissermassen nur vor, Logik und Wahrheit zu mögen, obwohl wir nur an ihrem Nutzen interessiert sind? Was würde das für unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse bedeuten? Forschen wir nur dort, wo es uns angenehm und nützlich ist und schränken wir dadurch das Feld unserer wissenschaftlichen Erkenntniss ein? Die Finanzierung der Forschung fordert auch oftmals nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern nützliche wissenschaftliche Erkenntnisse. Im Kapitalismus kommt von der Seite der Industrie zudem der Faktor hinzu, dass wissenschaftliche Erkenntnisse im besten Fall eine Aussicht auf Geld mit sich tragen sollen.
Eigentlich machen diese Gedanken Sinn für mich, denn wir sind nunmals Überlebenstiere und wir fragen uns oftmals: Was bringt mir das? Was bringt uns das? Aber ist das zwingend schlecht? Ich denke, dank dieses Streben nach Nützlichkeit (nicht wirklich Wahrheit) ist einer der Gründe, wieso wir nunmal so weit gekommen sind. (Vgl Lebenserwartung, technischer Fortschritt) Aber ich stimme Nietzsche in dem Punkt zu, dass diese Einstellung unser Weltbild stark verfälscht. Wir behindern uns sicherlich oft selbt, beispielsweise weil uns wichtige Puzzlestücke der Realität entgehen. Wir forschen dort, wo es angenehm und rendabel wirkt und verpassen sicherlich Einiges. Aber, wie schon gesagt, finde ich es grundsätzlich in Ordnung in der Wissenschaft nach Nützlichkeit zu streben, denn wir haben auf dieser Welt tausend ungelöste Probleme und begrenzte Zeit und begrenztes Geld. Diese Ressourcen dürfen deswegen meiner Meinung nach auch dorthin gesteckt werden, wo es eine gute Aussicht auf das Lösen eines unserer Probleme gibt.
Das Nützlichkeitsorientierte, die Wertschätzung der Welt und der Hochmut am Erkennen verzerren unser Bild der Wahrheit nach Nietzsche massiv. Diese Ansicht stellt ein weiteres Problem für die Wissenschaft dar: Auf welcher Basis argumentieren wir dann überhaupt, wenn wir nicht wissen, wo und wie diese Verzerrungen stattfinden? Wie können wir wissen, dass eine Meinung objektiv wahrer als die andere ist? Viele Naturwissenschaftler lösen dieses Problem, in dem sie gar nicht den Anspruch erheben, die Wahrheit rauszufinden, sondern lediglich das Beobachtete versuchen zu beschreiben. Man akzeptiert also diese Grenzen, in denen wir uns bewegen.
Als ich beim letzten Philosophie Essay einen Text von Ernst von Glaserfeld, einem Mitbegründer des Radikalen Konstruktivismus las, viel mir auf, dass ich nicht der Meinung bin, dass die Wahrheit dem menschlichen Geist absolut unerreichbar sei.
Beispielsweise in der Mathematik. Da die Mathematik anstatt mit Beobachtungen und Erfahrungen mit reiner Logik arbeitet, lässt sie keine Subjektivität zu. Natürlich erforschen wir Menschen wahrscheinlich nur einen kleinen, für uns relevanten Teil der Mathematik. Doch stimmt man den wenigen Prämissen der Mathematik zu, so sollte jede:r auf dieselben Ergebnisse kommen können. Man könnte sogar so weit gehen und sagen, dass fortgeschrittene Aliens, die Bewusstsein besitzen, auf das Muster der Primzahlen oder die Eulersche Zahl stossen würden, da sie beim Beschreiben der Natur so dermassen oft auftauchen.
Der zweite Bereich, auf den sich der Radikale Konstruktivismus meiner Meinung nach nicht anwenden lässt, ist alles, was sich im Geist abspielt. Wir können uns nie sicher sein, ob die Realität, die wir empfinden, wirklich ist oder nicht aber wir wissen, was wir fühlen und was wir denken. Wenn wir jemandem erzählen, welche Gefühle wir empfinden oder welche Gedanken uns durch den Kopf gehen, dann können wir uns bewusst dazu entscheiden, die Wahrheit zu sagen oder zu lügen. Zu wissen, dass der eigene Geist eine andere Person liebt, ist eine Wahrheit, die man nur besitzen kann, weil wir die Welt aus einer vollständig subjektiven Perspektive betrachten können. Solche Wahrheiten sind meiner Meinung auch Wahrheiten und unnabhängig von den von Nietzsche beschriebenen Verzerrungen.