Der Nutzen von Idealen und Utopien

20. Oktober 2024

Ideale & Utopien in Nathan der Weise und ihre Bedeutsamkeit und Risiken in der Politik.

Das Ideendrama «Nathan der Weise» von Lessing ist eines der bekanntesten Werke der Aufklärung. Lessing kritisiert darin den fundamentalistischen Glauben und zeigt das Ideal des beispielhaften Aufklärers anhand von Nathan. In diesem Text möchte ich zuerst erklären, was Ideale und Utopien sind und wie sie in «Nathan der Weise» von Lessing vorkommen. In dem zweiten Teil werde ich hinterfragen, welchen Nutzen solche Ideale und Utopien für unsere Gesellschaft haben.

Ein Ideal ist der Zustand oder der Inbegriff höchster Vollkommenheit, gewissermassen ein Ziel. Eine Utopie ist eine phantastische Vorstellung ohne reale Grundlagen für eine Verwirklichung dieser Vorstellung.

Nach Lessing ist ein «guter Mensch» veränderungs- und bildungsfähig. Er kann sich durch Erkenntnisgewinnung auf ein Ideal hinzubewegen. In «Nathan der Weise» wird das Ideal des «guten Menschen» mithilfe verschiedener Figuren gezeigt, welche verschiedenen Religionen angehören. Lessing ist der Meinung, dass das Streben nach dem Besserem, Wahreren einen Menschen gut mache, unabhängig von dessen Herkunft und Religion.

Meiner Meinung nach sieht man die idealistische und utopische Ideen Lessings am stärksten anhand der Schlussszene, bei der sich die verschiedenen Figuren mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen als biologische Familie enttarnen. Sie decken die Realität ihrer Verwandtschaft auf und fallen sich daraufhin freudig in die Arme. Diese Szene zeigt, wie die Menschheit sich verhalten könnte, wenn alle an Lessings Theorien der natürlichen und offenbarten Religionen glauben würden. Sie zeigt, wie die Welt aussehen könnte, würden alle den Toleranzgedanken von Lessing verinnerlichen und nach ihm handeln.

Wie sich im Klassengespräch bei der Anwendung Lessings Botschaften auf aktuelle Konflikte wie den Nahostkonflikt jedoch zeigte, ist die Realität um einiges komplizierter. Toleranz zu verinnerlichen und danach zu handeln scheitert oft wegen Angst. Menschen haben Angst vor fremden Kulturen und Religionen. Sie haben Angst vor dem Unbekannten. Wir stellen das Wohl unserer Nächsten und unserer Selbst vor allem anderen. Wenn dieses Wohl durch fremde Personen gefährdet wird, ist es oftmals schwierig, sich an Toleranz zu erinnern. Sei es die Angst vor dem Verlust eines Arbeitsplatzes durch Einwanderung, Terrorismus, Kriminalität, Verlust der eigenen Kultur oder Verlust seines eigenen Wohlstandes. Bei Kriegen ist es oftmals Angst vor dem Tod, vor Verfolgung, vor Bestimmung einer fremden Regierung etc. Diese Ängste drücken sich oft leider in der Form von Hass aus. Dieser Hass verhindert den Toleranzgedanken; es ist schwierig, einen Menschen als Menschen zu sehen, wenn eigene Familienmitglieder von seiner Nation getötet wurden. Auch wenn der Mensch selbst unschuldig ist und vielleicht der Regierung seiner Nation nicht einmal zustimmt.

Zusammenfassend ist es sehr schwierig, Ideale wie das der allumfassenden Toleranz umzusetzen. Wieso sollte man unrealistischen Ideale und Utopien wie diese überhaupt aufstellen? Welchen Nutzen bringt uns dieses Träumen? Ich denke, dass das utopische Denken zu den Menschen dazu gehört. Wir mögen es, über realistische Grenzen hinauszudenken und «Was wäre wenn…» Fragen zu stellen. Die Endzustände, die durch Ideale und Utopien beschrieben werden, sollen manchmal nicht endgültige Ziele darstellen, sondern Richtungen, in die sich die Gesellschaft bewegen soll. Ohne diese Richtungen würden wir orientierungs- und ziellos herumirren. Utopien und Ideale bieten Antworten auf grundsätzliche politische und philosophische Fragen und fordern Diskurs über die Art, wie wir unsere Gesellschaft gestalten möchten. Sie regen uns deshalb zum Denken und Diskutieren an, wie wir unsere Gesellschaft verbessern können und motivieren uns, nach neuen Lösungen für bestehende gesellschaftliche Probleme zu suchen. Gäbe es keine Träumer, würde sich nie etwas verändern.

“You may say I'm a dreamer

But I'm not the only one

I hope someday you'll join us

And the world will be as one”

John Lennon - Imagine

John Lennon stellt sich in "Imagine" eine Welt vor, in der Weltfrieden existiert und es keine Landesgrenzen gibt. In dieser Welt gibt es nichts, wofür man umbringen oder sterben würde und keinen Grund für Gier. Die Menschheit könnte sich die Welt teilen und in Frieden leben. In dem Ausschnitt oben kritisiert er, dass viele Menschen seine Vorstellungen zu schnell als albern abstempeln und verwerfen würden. Denn es wäre möglich, eine bessere, friedlichere Welt zu erreichen, wenn seine Utopie ernsthaft in Betracht gezogen werden würde und daraufhin Schritte in die Richtung einer friedlicheren Welt gemacht werden könnten.

Allerdings bin ich definitiv auch der Meinung, dass man es zu weit treiben kann mit utopischem Denken. Utopische Ideen können so grandios klingen, dass man dazu verleitet wird, grosse, gewagte politische Veränderungen zu machen. Diese gewagten Versuche, Utopien umzusetzen, waren, in Hinblick auf die Geschichte, oft sehr fehlerhaft. (Kommunismus, Anarchismus, Nazi-Deutschland, Islamischer Staat uvm.)